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Psychologie in der Organisation Juli 2014

Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen

Von Dipl.-Psych. Nicole Scheibner und Dipl.-Psych. Anja Wenzel

In den letzten Jahren sind die Fehlzeiten aufgrund psychischer Belastungen bei der Arbeit und die Frühverrentungen durch psychische Erkrankungen in Deutschland stark angestiegen. Bislang werden psychische Belastungen jedoch noch kaum in Gefährdungsbeurteilungen berücksichtigt.

Der deutlichen Zunahme psychischer Belastungen und ihrer negativen gesundheitlichen Folgen hat der Gesetzgeber unter anderem dadurch Rechnung getragen, dass im Jahr 2013 das Arbeitsschutzgesetz novelliert wurde. Bei der Beurteilung von Gefährdungen im Rahmen von Gefährdungsanalysen sind demnach auch psychische Gefährdungen explizit zu berücksichtigen (§5 Abs. 6 ArbSchG).

Bei der konkreten Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung sieht der Gesetzgeber viel Spielraum vor, was zum einen eine Chance ist, gleichzeitig für viele Unternehmen jedoch angesichts der Komplexität des Themas und begrenzter Ressourcen auch eine große Herausforderung darstellt.

 

Was sind psychische Belastungen und welche Folgen können sie haben?

In der modernen Arbeitswelt bestimmen zunehmend psychische Anforderungen und Belastungen wie starker Zeit-, Termin- und Leistungsdruck, hohe Arbeitsintensität und häufige Arbeitsunterbrechungen den Arbeitsalltag.

Die Vielzahl psychischer Belastungen bei der Arbeit lässt sich gemäß der Leitlinie der Nationalen Arbeitsschutzkonferenz vier Merkmalsbereichen zuordnen:                                    

1. Arbeitsinhalt/Arbeitsaufgabe

Dieser Bereich umfasst Aspekte wie die Vollständigkeit und Variabilität der Aufgabe, den Handlungsspielraum, Informationen, Verantwortung, Qualifikation und die emotionale Inanspruchnahme. Belastungen können hierbei z.B. in Form von zu geringen Handlungs-spielräumen oder fehlenden Informationen auftreten.

2. Arbeitsorganisation

Der Bereich Arbeitsorganisation beschreibt Belastungen, die mit der Ausgestaltung der Arbeitszeit, der Arbeitsintensität und dem Arbeitsablauf einhergehen sowie die mit der Arbeit verbundene Kommunikation und Kooperation. Häufige Störungen und Unterbrechungen bei der Arbeit sowie eine unklare Kommunikation sind Beispiele für Belastungen im Arbeitsalltag.

3. Soziale Beziehungen

Einen weiteren Belastungsfaktor stellen die sozialen Beziehungen bei der Arbeit dar. Dabei können sowohl die Beziehungen zu den Kollegen als auch zu den Vorgesetzten je nach ihrer Ausprägung eine Belastung im Sinne eines Stressors oder aber eine Ressource in Form von Unterstützung sein. Wiederholt auftretende Konflikte, ungünstiges Führungsverhalten oder  unklare Kompetenzregelungen sind Beispiele für belastende Ausprägungen sozialer Beziehungen.

4. Arbeitsumgebung

Bei der Betrachtung der Arbeitsumgebung spielen neben physikalischen und chemischen Faktoren auch die Arbeitsplatz- und Informationsgestaltung sowie die bei der Arbeit benutzten Arbeitsmittel eine Rolle. Eine ungünstige Beleuchtung und Lärm bei der Arbeit wirken sich nicht nur körperlich, sondern auch psychisch auf die Beschäftigten aus.

Belastung und Beanspruchung

Die Vielzahl der Begriffe, die im Alltag und in der Wissenschaft im Zusammenhang mit psychischer Belastung verwendet werden, ist für viele Praktiker verwirrend. Daher wurde die Norm „Ergonomische Grundlagen bezüglich psychischer Arbeitsbelastung“ (DIN EN ISO 10075) eingeführt.

Der Begriff der psychischen Belastung ist entgegen dem alltäglichen Verständnis in der Arbeitswissenschaft wertneutral. Er beschreibt die Gesamtheit aller erfassbaren Einflüsse, die von außen auf den Menschen zukommen und auf ihn psychisch einwirken (DIN EN ISO 10075-1).

Psychische Belastungen müssen nicht zwangsläufig negative Folgen haben. So können sie kurzfristig z.B. eine Leistungssteigerung bewirken. Des Weiteren können beispielsweise gute Beziehungen zu den Kollegen eine Ressource und einen Puffer darstellen.

Da sich Menschen in vielerlei Hinsicht unterscheiden (u.a. in ihren Fähigkeiten, Kenntnissen, Erfahrungen, ihrem Gesundheitszustand), kann ein und dieselbe Belastung (z.B. Zeitdruck) je nach den individuellen Voraussetzungen unterschiedliche Auswirkungen haben. Dies beschreibt der Begriff der Beanspruchung, der die unmittelbare (nicht langfristige) Auswirkung der psychischen Belastung im Individuum abbildet (DIN EN ISO 10075-1).

Psychische Belastung führt also zu einer Beanspruchung, die wiederum positiv und anregend oder negativ und beeinträchtigend sein kann.

Problematisch wird es vor allem dann, wenn bei der Arbeit bestimmte Belastungen häufig auftreten und intensiv sind oder wenn viele Belastungen gleichzeitig vorliegen (z.B. ein hoher Zeit- und Termindruck sowie Konflikte mit den Kollegen). Auch ist eine Gefährdung wahr-scheinlicher, wenn die Belastungssituation über eine längere Zeit besteht. Dann steigt das Risiko für negative gesundheitliche Folgen, wie z.B. körperliche und emotionale Erschöpfung, Bluthochdruck, Rückenschmerzen oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Betrachtet man die negativen Folgen psychischer Fehlbelastungen für die Gesundheit und Arbeits-fähigkeit der Beschäftigten, so ist es eine zentrale Aufgabe der Unternehmen, Strategien zur Vermeidung psychischer Gefährdungen zu entwickeln.
Dafür ist es unerlässlich, eine systematische Analyse der psychischen Belastungen im Rahmen der gesetzlich vorgeschriebenen Gefährdungsbeurteilung im Unternehmen durchzuführen.

Ziel einer Gefährdungsbeurteilung ist es:

  • die psychischen Belastungen im Unternehmen systematisch zu ermitteln
  • Maßnahmen zur Verringerung von Fehlbelastungen zu entwickeln
  • die Gesundheit der Beschäftigten  zu schützen.

Wie läuft eine Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen ab?

Die Gefährdungsbeurteilung sollte strukturiert und systematisch erfolgen. Da die Gefährdungsbeurteilung kein Selbstzweck ist, sondern die Basis für die Festlegung von Maßnahmen des Arbeitsschutzes ist, müssen die Maßnahmenableitung und -umsetzung sowie die Wirksamkeitskontrolle in der Planung unbedingt berücksichtigt werden.

Folgende Schritte sind wichtig, um den gesetzlichen Vorgaben zu entsprechen:

Das Arbeitsschutzgesetz macht keine Vorgaben dazu, wie genau die Gefährdungsbeurteilung umgesetzt und welche Instrumente zur Erfassung psychischer Belastung eingesetzt werden sollen.
Die Chance für die Unternehmen besteht darin, ein Vorgehen zu finden, das an ihre Bedürfnisse und Strukturen angepasst ist. Die Komplexität des Themas und die Vielzahl der möglichen Methoden und Ansätze zur Erfassung psychischer Belastungen erschweren jedoch die praktische Umsetzung der gesetzlichen Vorgabe.

Grundsätzlich können bei der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen folgende Methoden zum Einsatz kommen, deren Auflösungsgrad von einem groben Überblick bis hin zu einer detaillierten Feinanalyse reichen kann:

  • Checklisten
  • Fragebogen
  • Beobachtungen und Beobachtungsinterviews

Die Instrumente sollten die oben beschriebenen vier Merkmalsbereiche psychischer Belastung erfassen (Arbeitsinhalt/Arbeitsaufgabe, Arbeitsorganisation, soziale Beziehungen und Arbeits-umgebung).

Nach der Analyse der Befragungsdaten empfiehlt es sich, auf Basis der Ergebnisse gemeinsam mit den Beschäftigten im Rahmen von moderierten Analyseworkshops konkrete Maßnahmen ab-zuleiten, um Gesundheitsgefährdungen durch Fehlbelastungen zu vermeiden. Weiterhin sollte dabei auch geplant werden, wie die Maßnahmen umgesetzt, auf ihre Wirksamkeit hin überprüft und dokumentiert werden können.

Welchen Nutzen hat eine Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung?

  • Frühzeitiges Erkennen und Verringern von Gesundheitsgefährdungen durch psychische Fehlbelastungen
  • Schutz der Gesundheit
  • Förderung der Beschäftigungs- und Leistungsfähigkeit
  • Steigerung der Zufriedenheit und Motivation der Beschäftigten

Erfolgsfaktoren für die Gefährdungsbeurteilung

  • Bekenntnis der Unternehmensleitung und des Betriebsrats
  • Transparente Kommunikation des Vorhabens gegenüber den Beschäftigten und Führungskräften
  • Nutzung bereits bestehender Strukturen im Unternehmen (ASA, Arbeitskreis Gesundheit etc.)
  • Aktives Einbeziehen der Führungskräfte und Beschäftigten
  • Beginn/Erprobung zunächst in einem Unternehmensbereich, um das Vorgehen unternehmensspezifisch zu optimieren
  • Strukturierte und nachvollziehbare Dokumentation

Bei Rückfragen zum Thema „Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen“ wenden Sie sich gerne direkt an

Dipl.-Psych. Nicole Scheibner
unter nicole.scheibner[at]stateval.de oder an

Dipl.-Psych. Anja Wenzel
unter anja.wenzel[at]stateval.de

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