Die eigene Gesundheit gefährden, weil die Arbeit Spaß macht?
Ist das nicht ein Widerspruch in sich? Nicht wirklich. Flexible Arbeitsstrukturen, moderne Kommunikationsmedien und ergebnisorientierte Mitarbeiterführung à la „Management by Objectives“ lassen die Grenzen zwischen Berufs- und Privatleben verschwinden. Was einerseits zu mehr Freiheit führt, kann auf der anderen Seite zum Hamsterrad werden:
Trotz Krankheit oder Wochenende noch schnell das eine Projekt fertigstellen, im Urlaub schnell mal Emails lesen und beantworten, Arztbesuche verschieben, länger als zehn Stunden am Tag arbeiten und auf Pausen verzichten, um die To-Do-Liste abzuarbeiten.
Ein derartiges Verhalten nennt man interessierte Selbstgefährdung. Die Personen gefährden bewusst die eigene Gesundheit durch ihr Arbeitshandeln. Treibende Kraft ist das überdurchschnittliche Interesse für die eigenen Arbeitsthemen. Dieses Verhalten zeigt sich längst nicht mehr nur bei Selbstständigen, sondern zunehmend auch bei Führungskräften und sogar bei vielen Angestellten in Unternehmen. Die interessierte Selbstgefährdung führt zu hohem Engagement, aber auch zu Selbstzweifeln und (selbst gemachtem) Leistungsdruck. Letzterer gefährdet die eigene Gesundheit auf Dauer.
Grundsätzlich fällt es vielen Führungskräften aber auch den Angestellten schwer, ihr derartiges Verhalten zu ändern. Die potentiellen gesundheitlichen Risiken erscheinen häufig zu abstrakt. Sie sind zwar rational nachvollziehbar, aber nicht greifbar. So wird zum Beispiel trotz Krankheit der Beschäftigung nachgegangen (Präsentismus).
Doch wie kann interessierter Selbstgefährdung entgegen gewirkt werden? Zurück in die Steinzeit? Flexible Arbeitsgestaltung, moderne Kommunikationsmedien und ergebnisorientierte Mitarbeiterführung wieder abschaffen? Keineswegs!
Führungskräfte und Angestellte müssen für einen gesundheitsförderlichen Umgang mit sich selbst sensibilisiert und in ihrer Gesundheitskompetenz gestärkt werden. Es geht um die Balance zwischen Arbeitsleistung und Gesundheit. Um ein Umdenken und eine Verhaltensänderung zu bewirken, muss Gesundheit bzw. Gesundheitsgefährdung erlebbar gemacht werden, z. B. durch das zeitweilige Tragen eines Pulsarmbands, welches auch das Stresslevel anzeigt. Führungskräfte und Angestellte müssen die eigenen Verhaltensweisen im Arbeitsalltag hinterfragen und lernen, auf „Warnsignale“ des Körpers zu achten.
Gleichzeitig muss eine Unternehmenskultur gefördert und gelebt werden, in der Schwierigkeiten, Misserfolge und empfundene Belastungen thematisiert werden können. Bei Bedarf muss Unterstützung durch Kollegen und die direkte Führungskraft erfolgen. Denn bei einer hohen Erfolgsorientierung passiert es schnell, dass Probleme nicht offen angesprochen werden, weil die Mitarbeiter keine Schwäche zeigen wollen – nach dem Motto „Jeder ist für seinen Erfolg allein verantwortlich“. Auch sollten Zielvorgaben fortlaufend überprüft und gegebenenfalls an die Gegebenheiten angepasst werden (z.B. bei Personalausfall, Änderung der Vorgaben).
Die mit den Vorteilen der modernen Arbeitswelt einhergehenden Nachteile wie das Phänomen der interessierten Selbstgefährdung machen eines deutlich: Freiräume bei der Ausübung der eigenen Tätigkeit erfordern ein hohes Maß an individueller Gesundheitskompetenz bei der einzelnen Führungskraft oder dem einzelnen Angestellten. Denn langfristig kann ein überdurchschnittlich hohes Engagement nur durch ein gesundes Selbstinteresse aufrecht erhalten bleiben. Und das sollte im Interesse aller sein.
Lisa Zimathies ist Psychologin (M.Sc.) am EO Institut in Berlin. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen in den Bereichen Gesundheit und Führung sowie der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen am Arbeitsplatz.
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